„Die moderne Rekonstruktion“

Ein wichtiges neues Buch für die Freunde schöner Architektur

„Die moderne Rekonstruktion“


Ein Standardwerk zu Licht und Schatten der gegenwärtigen Architektur hat der Cuxhavener Philipp Maaß mit seinem Buch "Die moderne Rekonstruktion" vorgelegt. Das Werk von Maaß wurde 2012 als Doktorarbeit bei der TU Dresden angenommen und behandelt als Fallbeispiel auch das Projekt der neuen Frankfurter Altstadt.

616 großformatige Seiten mit zahlreichen Zitaten, Anmerkungen und Literaturhinweisen lassen sich nicht schnell durchlesen. Man darf "Die moderne Rekonstruktion" also nicht als lockeres Lesebuch verstehen, sondern eher als Nachschlagewerk, aus dem man sich partiell bedient. Vor allem die reichhaltige Bebilderung mit aktuellen und historischen Fotografien macht das Buch zu einem Prachtband, den man auch optisch-sinnlich genießen kann und dennoch viele wertvolle Informationen erhält. Und statt es in einem Rutsch zu lesen, mag man sich einzelne Kapitel und Fallbeispiele, beispielsweise zum Dresdner Neumarkt um die Frauenkirche oder das Potsdamer Stadtschloss, herauspicken, um an diesen exemplarisch in das Thema hineinzuwachsen.

Ein solches Fallbeispiel ist die Rekonstruktion eines Teils der Frankfurter Altstadt, das so genannte "Dom-Römer"-Projekt, die derzeit maßgeblich aufgrund der Initiative der Fraktion der Bürger Für Frankfurt (BFF) verwirklicht wird. Detailreich geht Maaß auf die Geschichte der Frankfurter Altstadt und deren Zerstörung ein. Dabei zeigt sich, dass die Diskussionen um einen an der Historie angelegten Wiederaufbau des Areals bereits unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg höchst kontrovers geführt wurden. Dies verdichtete sich sowohl beim Streit um den Wiederaufbau des Goethehauses wie auch des Krönungsweg-Bereichs. Schon damals positionierte sich der "Bund tätiger Altstadtfreunde" mit einem Wiederaufbauplan entlang der historischen Parzellen und stand damit beispielsweise im Gegensatz zum modernistischen Städtebaurat Ernst May, der das Altstadtquartier unter Missachtung der gewachsenen Strukturen mit Zeilenbauten beglücken wollte.

Mit dem Bau des Technischen Rathauses in den 70er Jahren schien die Auseinandersetzung zugunsten des Baumodernismus entschieden. 1972 erhielt das Gebäude den Hessischen Landespreis für eine "vorbildliche Architekturleistung" in der Rubrik "ökonomisches Bauen". Im Widerspruch zu jenen Zeitgeist-Lobhudeleien, die es auch heute noch gibt, erwies sich der Sichtbeton-Bau aber doch nicht als so ökonomisch bzw. nachhaltig. Marode und verwahrlost überstand das Gebäude nur wenige Jahrzehnte und wurde schließlich für eine Neuplanung abgerissen. Dass die Neuplanung nicht in Richtung des nächsten modernistischen Großkomplexes lief, den der "Bund Deutscher Architekten" (BDA) bevorzugte, ist maßgeblich der BFF-Fraktion und dem Verein "Pro Altstadt" zu verdanken. Maaß nennt in diesem Zusammenhang auch den langjährigen BFF-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Hübner, den Offenbacher Bauingenieur Dominik Mangelmann und den Darmstädter Geograph Jörg Ott, ebenso die verstorbene erste "Pro Altstadt"-Vorsitzende Heidrun Christensen und den Unterstützer Günter Possmann.

Maaß präsentiert mehrere Stellungnahmen von Bürgern, in denen diese die modernistische Gestaltung ihrer Städte als "grau in grau, deprimierend und beklemmend" schildern. Gerade viele junge Menschen wünschen offenbar nach den Zerstörungen des zweiten Weltkriegs und der ideologischen Verbrämung der Nachkriegszeit eine Rückkehr zu urbanem Glanz und historischer Identität der jahrhundertealten Stadträume. Dabei geht der Autor nicht nur auf die Fehler der modernistischen Architektur ein, sondern identifiziert sie auch als bewussten Bruch mit einer Jahrtausende alten Baukultur, dessen Rücksichtslosigkeit sich maßgeblich an Architekten wie Le Corbusier erkennen lässt.

Das Dilemma des deutschen Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg war dabei, dass zu dieser Zeit bereits Baumodernisten die Schlüsselpositionen im Architektenapparat erobert hatten und nun ganz bewusst danach trachteten, durch "Tabula Rasa" ihre Ideen von einem Stadtumbau bei Bruch mit der Geschichte und der vorhandenen Bausubstanz umsetzen zu können. Philip Maas zeigt einige Beispiele dafür, dass der Bombenkrieg nur bedingt für unsere heutigen Stadtbilder, die vielerorts von schmucklosen und oft groß dimensionierten Flachdach-Bauten und Zeilen-Wohnblöcken geprägt sind, verantwortlich war. Einzelne Beispiele, etwa in Rothenburg ob der Tauber, Freudenstadt oder Münster zeigen, dass es auch in der Nachkriegszeit möglich war, eine Stadt auf kleinen Parzellen mit traditionellen Häusern wieder aufzubauen. Doch diese Ansätze bildeten leider nur eine Minderheitenposition.

Der Autor stellt deutlich heraus, wie die geistige Bruchlinie zwischen der nun schon Jahrzehnte mehrheitlich modernistischen "Experten"- und Architektenschaft und den Bürgern verläuft. Immer wieder kommt es zu Bürgerinitiativen, die sich nicht mit architektonischen Status Quo ihrer Städte abfinden wollen. Diese lokalen Initiativen versuchen dabei, eine "Wiederaneignung vieler Jahrhunderte gültiger Gestaltungsregeln" und die kleinteilige Parzellierung von Bauvorhaben durchzusetzen.

Der Autor erklärt derartige Initiativen treffend: "Die allgemeine Gültigkeit des traditionellen architektonischen Gestaltung- und Formenkanons in der menschlichen Wahrnehmung konnte nicht getilgt, nicht weggelehrt werden. Sind in Deutschlands Städten als allgemein attraktiv empfundene Baustrukturen anzutreffen, so speisen sich diese fast ausschließlich aus dem Architektur- und Städtebauverständnis längst vergangener Generationen. Die abstrakte-reduzierte Moderne konnte dagegen keine einzige Stadt erschaffen, deren Gestalt den Grundlagen des menschlichen Schönheitsempfindens entsprochen hätte und mehrheitliche Akzeptanz erhält."

Sorge macht sich Maaß um die derzeitige Mode der giftigen Styropor-Dämmplatten, die weder ökologisch noch wirklich energieeffizient sind, sowie die Finanzsituation der Kommunen bei in Zukunft möglicherweise schrumpfenden Steuereinnahmen: "Die heutige Konzeption und Genehmigung von Bauprojekten als Abschreibungsobjekte mit kurzer Lebensspanne, ohne nachhaltige Bauästhetik sowie fehlender Flexibilität in der Nutzung bedeutet eine enorme Verschwendung von Bauressourcen auf Kosten kommender Generationen, deren Finanzkraft vermutlich nicht mehr reichen wird, diese Fehler zu korrigieren."
 

Marlis Lichtjahr
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Philipp Maaß: Die moderne Rekonstruktion. Eine Emanzipation der Bürgerschaft in Architektur und Städtebau, Regensburg 2015. Schnell + Steiner Verlag. Hardcover, 616 Seiten, 481 Abbildungen. ISBN: 978-3-7954-2960-7. 89 Euro

 

"Kulturhistorische Bedeutung des Ortes"

Interview mit Philipp Maaß


Dr. Philipp Maaß veröffentlichte unlängst das monumentale, hier besprochene Architektur-Buch "Die moderne Rekonstruktion". Nun beantwortet er im Interview Fragen zur zukünftigen Bauentwicklung.
 

Herr Dr. Maaß, weshalb gibt es immer wieder Bestrebungen, durch Krieg oder Abriss verschwundene historische Gebäude zu rekonstruieren?

Die Gründe dafür sind so vielfältig wie die Gesellschaft selbst. Sie reichen von der Wiedergewinnung der Architektur eines besonderen Bauwerkes bis hin zu grundsätzlichen Bestrebungen in der Stadtreparatur. In Berlin hieß es beispielsweise: Was denn sonst als das Schloss an diesem Ort, von dem die gesamte Entwicklung der Stadt ausging und jedes Bauwerk von Bedeutung städtebaulich und architektonisch an ihm ausgerichtet worden war. In vielen Fällen ist es auch ganz lapidar das Vor-Auge-Führen der Alternativen, wenn ein zentraler kulturhistorischer Identifikationspunkt einer Stadt zur Neubebauung ansteht und mit austauschbarer abstrakt-moderner Architektur gefüllt werden soll, wie es ja auch in Frankfurt der Fall war.


Woraus erklären Sie sich die Widerstände in der Architektenschaft, die Rekonstruktionsbemühungen immer wieder entgegenschlagen?

Rational betrachtet sollte es keine geben, denn keiner der Rekonstruktionsbefürworter behauptet, damit den Verlust eines verlorenen Bauwerks ungeschehen machen zu können. Die Rekonstruktion bleibt immer ein Ausweis der jeweiligen Gegenwart. Doch ist die Debatte nicht rational, sie wird höchst emotional geführt, auf der Seite der Architektenschaft geprägt von dem totalen Anspruch der sogenannten „modernen“ Architekturtheorie und -schreibung, wie sie im 20. Jahrhundert entstanden ist. Diese besagt verkürzt gesagt, dass das tradierte Bauerbe nicht mehr für die moderne Architektur nutzbar gemacht werden darf. Die Fassaden werden dadurch glatt und abstrakt ohne jede Profilierung oder Halt für das menschliche Auge. Die Rekonstruktionsdebatte ist daher eine Architekturdebatte. Die Argumente, die einst für den nahezu vollständigen Abriss der Reste der Frankfurter Altstadt ins Feld geführt wurden, sind die gleichen, welche heute gegen die Rekonstruktion verwandt werden. Auf deutschen Universitäten bestehen die Studenten keine einzige Prüfung, wenn sie diesem Totalitätsanspruch gestalterisch nicht vorauseilend Rechnung tragen. Am Ende des Studiums sind die meisten Studenten von dieser Richtung überzeugt oder haben bereits vorher abgebrochen.
 


(K. Zimmermann, 1950)


Worin liegt für Sie die besondere Bedeutung des Frankfurter Dom-Römer-Projekts, also der Teilrekonstruktion des Kerngebiets der Frankfurter Altstadt?

Die kulturhistorische Bedeutung des Ortes kann wieder sichtbar gemacht und neu ins kollektive Gedächtnis überführt werden. Frankfurts Bedeutung für die deutsche Staatwerdung ist ja kaum hoch genug einzuschätzen. Der sogenannte Krönungsweg mit seinen Altstadthäusern, der zentralen Wegbeziehung vom weltlichen Römer zum geistlichen Dom, der Wahl- und Krönungsstätte deutscher Kaiser und Könige, ist für die Vergegenständlichung unserer Geschichte – gerade für zukünftige Generationen – ein solcher unverzichtbarer Baustein. Der Dom erhält zudem seinen maßstabsetzenden Rahmen an Bürgerhäusern zurück, wodurch seine wahre „Größe“ wieder erleb- und erfahrbar wird und sich eine Vielzahl an spannenden Ansichten ergibt, die durch die Freistellung von Monumentalbauten immer verlorengeht. Darüber hinaus werden funktionale Stadtstrukturen entwickelt, die sowohl städtebaulich als auch architektonisch dem modernen Primat der Nachhaltigkeit entsprechen.


Welche weiteren städtebaulichen und architektonischen Maßnahmen wären für Frankfurt wünschenswert?

Der Abriss der Kulturschirn beziehungsweise der bauliche Anschluss des Dom-Römer-Areals an die Saalgasse wäre eine notwendige Aufgabe für die nächsten Dekaden. Zudem sollte das altstädtische Zentrum mit einem Nutzungsmix aus Wohn- und Geschäftsbauten nachverdichtet werden, aber möglichst in einer nachhaltigen Kleinteiligkeit auf dem historischen Stadtgrundriss, vor allem dort, wo dieser großzügig genug ausfällt. Eine Verschmälerung der Berliner Straße und eine Reduzierung des innerstädtischen Verkehrs wären in diesem Sinne wünschenswert. Aber auch das östliche Dom-Areal bietet ein enormes Entwicklungspotential für eine solche Stadtreparatur. Im Grunde wäre das jene Planung, die im Juli 1949 vom „Bund tätiger Altstadtfreude“ vorlegt wurde (s. Bild). Sie war damals nachhaltig modern und ist es knapp siebzig Jahre später immer noch.
 

Erwarten Sie, dass die Rekonstruktionsbewegung noch eine große Zukunft vor sich hat? Könnte es in Zukunft zu weiteren Rekonstruktionen in Deutschland kommen? Was wären die Voraussetzungen dafür?

Die Rekonstruktionen sind bislang in wesentlichen Teilen – auch schon nach dem Zweiten Weltkrieg – von der Bürgerschaft intendiert, getragen und gegen die Expertenschaft durchgesetzt worden. Bleibt der basisdemokratische Impuls der Bürgerschaft erhalten, werden wir sicher noch einige Rekonstruktionen sehen, vor allem wenn die Alternativangebote aus der Architektenschaft so einseitig bleiben, wie sie sind.


Könnte aus der Rekonstruktionsbewegung generell eine vertiefte Beschäftigung mit der alten Stadt und der traditionellen Architektur erwachsen? Könnte als eine menschenfreundlichere Haltung der Architektur gefördert werden?

Suggestivfrage! Aber natürlich, es fehlt ja nicht an Kenntnis oder Analysekraft, wo die geistig-theoretischen Ursachen für die verfehlte Stadtplanung unserer Gegenwart liegen, allein die Konsequenz zur alternativen Handlung in der Praxis bleibt aus. Die bürgerschaftliche Neigung zur baulichen Rekonstruktionen ist auch ein Symptom der Missachtung ewig gültiger Gestaltungsregeln in der Expertenschaft; nämlich über die sogenannte „moderne“ Architekturtheorie, die sich mit dem Begriff von der „Klassischen Moderne“ selbst zur Bautradition erkoren hat. Doch auch Albert Einstein hat gemeint, dass Ausweis des reinsten Wahnsinns sei, immer wieder das gleiche zu tun und jeweils ein anderes Ergebnis zu erwarten. Das ist etwas, was im deutschen Grundcharakter unter unterschiedlichsten Bedingungen und Vorzeichen besonders verankert zu sein scheint. Wichtig wäre daher eine obligatorische Bürgerbeteiligung für die zentralen innerstädtischen Identifikationsorte. Paragraph 3 BauGB zur Bürgerbeteiligung sollte endlich mit konkretem Inhalt ge- und erfüllt werden. Im Rahmen von Bebauungsplänen und Gestaltungssatzungen, die sich fest am städtebaulichen und architektonischen genius loci orientieren und an deren Erstellung die interessierte Bürgerschaft vorab mitwirken sollte, müssten mehrere Alternativentwürfe erarbeitet und zur Abstimmung gestellt werden, ohne dass durch die Besetzung des Preisgerichts traditionell-moderne Entwürfe vorab aussortiert oder gar erst gar nicht zugelassen würden. Dann könnte unsere gegenwärtige „Weg-Werf-Architektur“ überwunden werden.

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