Eine Neue Altstadt reicht noch lange nicht

Frankfurt braucht mehr Identität

Eine Neue Altstadt reicht noch lange nicht

Hübners Frankfurter Woche – Folge 97

Wenn ein Projekt oder eine Maßnahme sich nach angemessener Zeit als überaus erfolgreich und populär erweist, dann ist es nur naheliegend, diesem Vorbild zu folgen. Nicht so in Frankfurt. Denn keine der im Römer dominierenden Parteien drängt derzeit darauf, nach dem nunmehr fünfjährigen Erfolg der Neuen Altstadt weitere historische Rekonstruktionen oder gefällige architektonische Verbesserungen des Stadtbildes in die Wege zu leiten. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, daß bereits die Erwägung solcher Projekte auf entschiedene politische Blockaden stoßen.

Deshalb hatten die städtischen Feierlichkeiten zum Jubiläum der Eröffnung der Neuen Altstadt einen faden Beigeschmack. Unter den zahlreichen Programmpunkten am 2. und 3. Oktober war kein einziger, der sich mit einer positiven Bilanz der anfangs so umstrittenen Neuen Altstadt oder gar mit möglichen Folgeprojekten auseinandersetzte. Offenbar sollte mit dieser bewussten Ausblendung des wohl naheliegendsten Veranstaltungsformates vermieden werden, daß die Bürger auf „falsche“ Gedanken kommen könnten.

Zudem war es mehr als schäbig, anlässlich des Jubiläums nicht auch diejenigen zu einem Gespräch einzuladen, die damals entscheidenden Anteil an Idee, Planung und Realisierung der Neuen Altstadt hatten. Zwar ist bekannt, daß Oberbürgermeister Mike Josef kein Freund von Rekonstruktionen ist. Doch ebenso bekannt sollte sein, welch große Verdienste sich all diejenigen erworben haben, die unserer Heimatstadt Frankfurt mit dem Projekt Neue Altstadt einen unschätzbaren Dienst mit Langzeitwirkung erwiesen.

Doch in einer Frankfurter Tageszeitung war dieser Tage allen Ernstes unter der Überschrift „Die Lehren der neuen Altstadt“ zu lesen: „Tatsächlich ist zwischen Dom und Römerberg allen Unkenrufen zum Trotz ein funktionierendes Stadtquartier entstanden, das nicht nur Touristen anlockt. Das liegt nicht an den rekonstruierten Fachwerkhäusern.“ Eine solch dümmliche Behauptung kann nur in die Welt setzen, wer die besondere Qualität und Attraktivität der Neuen Altstadt allen Tatsachen zum Trotz ignorieren will. Denn ohne die erstmals im Jahr 2005 von den Bürgern Für Frankfurt BFF geforderten historischen Rekonstruktionen wäre das neue Quartier niemals zu einem der größten Besuchermagneten der Stadt geworden.

Und was nicht weniger wichtig ist: Die Neue Altstadt hat Frankfurt ein Stück jener Identität zurückgegeben, die im Bombenkrieg ein für alle Mal zerstört zu sein schien. Nach wie vor besteht in unserer Stadt der Bedarf, verlorene Identität zurückzuerlangen. Dafür sorgen aber nicht Banken- und Bürotürme, die in den Himmel ragen. Sondern Quartiere, in denen Menschen gerne leben und in die Einheimische wie Besucher voller Bewunderung strömen: Eine Neue Altstadt reicht noch lange nicht!
 

Wolfgang Hübner

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