Magda macht das schon!

Einblicke in das polnische Leben in Frankfurt

Magda macht das schon!


Mit keinem Land in Mittel- und Osteuropa handelt die deutsche Wirtschaft so viel wie mit dem benachbarten Polen. Mehr als tausend Jahre sind Deutschland und Polen schon Nachbarn. Wanderungen von Menschen aus polnischen in deutsche Gebiete haben die deutsche Gesellschaft wahrscheinlich mehr geprägt und mehr Spuren hinterlassen als irgendeine andere Kultur. Dabei genügt es schon, an all die polnisch klingenden Namen in deutschen Telefonverzeichnissen zu erinnern. An den in Polen weitverbreiteten Nachnamen Wisniewski zum Beispiel. Damit ist allerdings nicht Stefan Wisniewski gemeint, Sohn eines polnischen Zwangsarbeiters und Mitglied der RAF, sondern Janusz Leon Wisniewski.

„Frauenversteher“, Verführerin und Heilige

Der Wissenschaftler und international erfolgreiche Autor, dessen Bücher in 14 Sprachen übersetzt sind, lebte von 1987 bis vor kurzem in Frankfurt, wo er in einem Unternehmen für Chemieinformatik arbeitete. Man könnte ihn als Frankfurter Bestsellerautor und „Frauenversteher“ bezeichnen, sind seine Romane doch „vor allem an weibliche Leser adressierte Gefühlsschmöker“, wie Andrzej Kaluza, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Polen-Institut in Darmstadt, meint. Eine Buchpremiere auf Deutsch lässt noch immer auf sich warten. Eine deutsche Version von Wisniewskis Roman Bikini wurde eigentlich schon 2011 erwartet. Die Übersetzung liegt jetzt vor, warum kein Verlag zugreift, bleibt nebulös.

Andererseits ist die für die Fernsehzeitschrift TV Spielfilm „angenehm lebensnahe“ RTL-Sitcom „Magda macht das schon“  ein Publikumsrenner, in der die polnische Altenpflegerin Magda aufreizend sexy und gottesfürchtig zugleich eine vierköpfige deutsche Durchschnittsfamilie aufmischt, indem sie sich wie eine Verführerin kleidet, aber wie eine Heilige handelt, da sie eine gute Altenpflegerin ist.

Die unsichtbaren Polen

Abseits von Polenwitzen und der Tatsache, dass auf jeder dritten Baustelle in Frankfurt Polen arbeiten, gestaltet sich die Frage schwierig, was als „polnische Spur“ identifiziert und bezeichnet werden kann, da zum Beispiel Aus- und Umsiedler, die in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Volksrepublik Polen in die beiden deutschen Staaten kamen, sich häufiger als Deutsche denn als Polen empfanden und oft darum bemüht waren, alles Polnische schnell abzulegen.

Liegt es daran, dass sich Polen und Deutsche einfach zu ähnlich sind und es daher kaum ein Bedürfnis nach Abgrenzung gibt, so dass Polen untereinander in Frankfurt lange nicht so gut vernetzt sind wie etwa Italiener oder Türken? Denn welchen Unterschied gibt es schon zwischen den Esswaren in einem polnischen und einem deutschen Lebensmittelladen, einmal abgesehen davon, dass Wurst aus Polen in aller Regel weniger Fett enthält und intensiver gewürzt ist?

Polen gelten in Frankfurt als gut integriert. Es ist daher verständlich, dass viele von ihnen nicht gerne über Politik und Religion reden wollen, da sie es leid sind, als erzkonservativ bzw. weihrauchkatholisch verdächtigt  zu werden. Einige sind Nationalisten, von diesen grenzen sich jedoch betont multikulturell Gesinnte ab, für die „nur verrückte Leute ständig über Geschichte sprechen“. Ideologische Grabenkämpfe sind allerdings selten sinnvoll, zumal das wirtschaftlich boomende Polen unter der nationalkonservativen Regierung längst zu einem pragmatischen Einwanderungsland geworden ist, das von allen EU-Ländern mittlerweile am meisten Arbeitsmigranten aus Nicht-EU-Ländern anzieht, allerdings fast vorwiegend aus der direkt benachbarten Ukraine.

Polen sind nach Kroaten und Italienern die größte Gruppe von EU-Bürgern mit Hauptwohnsitz in Frankfurt, nach aktueller städtischer Statistik genau 12.496 Menschen. Allerdings dürfte die Zahl der in Frankfurt mehr oder weniger lang lebenden Polen erheblich höher sein, nach verschiedenen Schätzungen bis zu  40.000. Trotzdem scheinen sie im Stadtbild unsichtbar zu sein.

Magdalena Kaczanowska wundert sich, dass es in Frankfurt kein einziges polnisches Restaurant gibt. Magdalena, die einst als Au-pair-Mädchen  nach Frankfurt kam, erfüllte sich 2007 ihren Traum, als sie im Frankfurter Westend eine Sprachschule eröffnete. Doch immer wenn sie nach dem Unterricht mit ihren Studenten polnisch essen gehen möchte, ist sie ratlos. Magdalena ist nicht überrascht: „Es gibt nur eine Hand voll Lebensmittelläden und einmal im Monat einen polnischen Stammtisch, zu dem meistens Banker gehen.“ Erst in der letzten Zeit hätte sich einiges in den sozialen Netzwerken getan.

Pawel Mazur, der Ansprechpartner für den polnischen Stammtisch, sagt das, was im Prinzip alle anderen auch sagten, bei denen ich mich nach einer polnischen Community erkundigte: „Es gibt keine, die Polen sind in Frankfurt kaum miteinander verbunden.“ Sein Stammtisch, den ursprünglich Banker organisierten, schläft langsam ein. Es kommen im Schnitt nur noch zehn Leute. Die Website einer Integrationsinitiative, die er mir nennt, ist längst verwaist.

In den 80er Jahren seien die Polen als politisch Verfolgte nach Deutschland gekommen und hätten zusammengehalten. Die heutigen Polen sähen sich als Europäer. „Sie wollen Frankfurt kennenlernen und keine anderen Polen.“ Oft würden die jungen Leute in den Banken nach sechs bis zwölf Monaten weiterziehen. „Wir erreichen die Jugend nicht mehr!“

Der polnische Botschafter teilt aus

Magdalena Kaczanowska interessiert sich nicht allzu sehr für die neuesten politischen Nachrichten aus Polen, da sie ihr auf die Nerven gingen. Anders der polnische Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, Andrzej Przylebski. Auf einem von der Fachhochschule Frankfurt veranstalteten Symposium zum Thema Presse- und Medienfreiheit in der EU – ein bedrohtes Grundrecht?, eröffnet von dem Fernsehmoderator Michel Friedman, trat er im Januar als Referent auf.

Michel Friedman bewies in seiner Ansprache, dass er den Terminus alternative Medien noch nicht einmal richtig aussprechen kann. Im Umkehrschluss ist für den aus Funk und Fernsehen bekannten Moralprediger der Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine grundgesetzrechtliche Pflicht.

Der polnische Botschafter bilanzierte in seinem Vortrag für Polen eine Presse- und Medienfreiheit, die erstaunen lässt, während er die von den anderen Referenten mit einem Glorienschein versehenen deutschen „Qualitätsmedien“ für noch nie dagewesen langweilig und monoton, also regierungskonform hält.

Frisch, frei und provokant wie „Magda macht das schon“ warf Andrzej Przylebski allen (!) deutschen Polenkorrespondenten einseitige Berichterstattung vor. Geht es um die nationalkonservative Regierungspartei PiS, würden diese Journalisten in ihrer ideologischen Voreingenommenheit  nie die Gegenansicht berücksichtigen. Der wie von Magda durchgewirbelte stellvertretende Feuilleton-Chef der FAZ, Michael Hanfeld, ein weiterer Referent, hatte nun genug, stand auf und verwahrte sich gegen „diese Art der Pauschalisierung“.

Der erste polnische Kindergarten in Frankfurt


Ich habe grundsätzlich Verständnis dafür, dass Polen das aus einer Nichtintegration von Muslimen resultierende Risiko für nicht beherrschbar hält und daher eine Einwanderung von Muslimen mehrheitlich ablehnt. Dazu braucht man nicht erst den Mythos zu bemühen, dass Polens König Johann III. Sobieski samt Reiterheer erfolgreich daran beteiligt war, Wien gegen den Angriff der Osmanen im Jahr 1683 zu verteidigen.

Einfacher gestaltet sich ein Integrationsbeitrag für den der Welt zugewandten  Kindergarten Polanka im Frankfurter Stadtteil Heddernheim dem ersten bilinguale deutsch-polnischen Kindergarten in Hessen. Fünf Polinnen, „normale Frauen ohne finanziellen Background“, kämpften sieben Jahre für seine Eröffnung, leisteten jeden Behördengang und unterschrieben zuletzt eine Bürgschaft über 160.000 €. Am 1. Februar 2016 ging ihr langjähriger Traum in Erfüllung.


Eine davon empfängt mich. Karolina Sikora erklärt, warum Polen in der Vergangenheit ihre Muttersprache gegenüber der deutschen Zielsprache oft vernachlässigten: „Mit der Beherrschung der deutschen Sprache stieg unser Selbstwertgefühl gegenüber den Deutschen, da wir uns als Polen vielleicht doch nicht so toll fanden. Ich habe das seit vielen Jahren beobachtet.“ Mit dem neuen Selbstbewusstsein, das erst jetzt komme, sei die Zeit reif für einen bilingualen Kindergarten gewesen.

Bei der Erziehung zwischen deutschen und polnischen Müttern gebe es gewisse Unterschiede: „Die polnischen Mütter sind manchmal übervorsichtig und  kontrollieren viel. Zum Beispiel, dass das T-Shirt richtig in der Hose ist, dass noch ein zweites Paar Socken angezogen wird.“ Also keine wesentlichen Unterschiede, halte ich fest. Karolina Sikora schränkt ein: „Seitdem die PiS in Polen an der Macht ist, sind die neueingewanderten Polen oft intoleranter. Sie fordern mehr und sehen mehr die eigenen Vorteile. Man erkennt das schon.“ – Die autoritären Reformen der nationalkonservativen Regierung in Warschau bleiben also auch im Ausland nicht ohne Folgen.

Polanka versteht sich als säkularer Kindergarten. Die ganz normalen Feste wie Karneval würden gefeiert, ohne es zu übertreiben, aber nicht speziell die christlichen Feiertage. Den Kindern werde aber erzählt, „was es überall so gibt.“ Auf meine Frage, ob mit den Kindern gebetet würde, erschrickt sie fast. Beten mit Kindern ist für sie genauso ein Tabu wie Würstchen mit Pommes.


Wo treffen sich die gläubigen Polen?

Bei der polnischen Messe in der Herz-Marien-Kirche im Frankfurter Süden ist an diesem Sonntag kein Platz mehr frei, die Menschen stehen neben und hinter den Bänken, einige sogar im Flur. Rechtzeitig habe ich mir einen Platz ergattert und sitze dort wie ein Protestant. Ich bin der einzige, der sich nicht vor die Kirchenbank hinkniet, wenn es an der Zeit ist. Schlagartig sind diejenigen nicht mehr zu sehen, die eben noch standen. Dabei knieten auch sie nur nieder. Gleich darauf standen sie wieder.

Ich bin tatsächlich der Letzte, der sich von der Kirchenbank erhoben hat und steht, wenn es an der Zeit ist. Alle anderen scheinen aufzuspringen. Das ist alles sehr intensiv aus kirchenfremder deutscher Sicht. Die Liturgie unterscheide sich aber nicht von der in deutschen Gotteshäusern, sagt ein Gottesdienstbesucher später, der normalerweise sonntags die Heilige Messe in der Sankt-Josefs-Kirche im Stadtteil Bornheim besucht, weil er und seine Familie dort wohnen.

Der Herz-Marien-Kirche angegliedert ist das Katholische Zentrum zur Förderung der polnischen Sprache, Kultur und Tradition in Deutschland e.V. Es handelt sich um den Dachverband der polnischsprachigen Missionen, deren Ziel es ist, über die Pflege der Muttersprache, der Herkunftskultur und religiöser Traditionen die Identität der Gemeindemitglieder, von denen fast alle Deutsch können, zu stabilisieren. Das kann auch zusätzlichen Schulunterricht bedeuten mit Fächern wie Erdkunde und Geschichte, da zum Beispiel „nicht jeder deutsche Lehrer wisse, dass es Polen 123 Jahre lang nicht mehr auf der Weltkarte gegeben habe“, wie eine ehemalige Teilnehmerin am Unterricht meint.

Die Vorsitzende Agnieszka Ciesielska sieht, bedingt durch den offenen Arbeitsmarkt in der EU, die Ampeln auf Grün: „Seit fünf Jahren haben wir so viele junge Leute in der Kirche und auch in der Schule.“ Die Polen seien heute stärker und selbstbewusster. Das liege auch daran, dass die Deutschen offener für sie seien, indem sie zum Beispiel Polnisch als herkunftssprachlichen Unterricht an den hessischen Schulen anböten. Das Staatliche Schulamt für Frankfurt, für das der Erwerb der deutschen Sprache und die Stärkung der Familien- und Herkunftssprache keinen Gegensatz darstellt, da „es sich vielmehr um einander stützende Lernprozesse handelt“, bestätigt eine stärkere Nachfrage für Polnisch.

Agnieszka Ciesielska legt Wert auf die Feststellung, dass weder im Katholischen Zentrum noch in der Kirche Politik eine Rolle spielt: „Wir wollen das nicht. Es ist zu gefährlich und führt immer zu Konflikten, da es bei uns in Polen gerade sehr schwierig ist.“ Ihre Tochter Maja (18), Studentin der Wirtschaftswissenschaften, pflichtet bei: „Die Meinungen gehen komplett auseinander. Man versucht etwas anderes anzusprechen.“


Claus Folger

Für die polnische Version des Artikels hier klicken.


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