Flüchtlinge mit bunten Federn

Laissez-faire im Umgang mit Nilgänsen?

Flüchtlinge mit bunten Federn
© georgschm - Pixabay

 
Mehrfach hat sich die BFF-Fraktion des zunehmenden Problems der Nilgänse in unseren Grünanlagen und Schwimmbädern angenommen. Die Tiere sind seit den 1980er Jahren vor allem entlang der Rheinlinie zu uns gewandert und haben sich drastisch ausgebreitet. Es sind dies die Nachkommen von Tieren, die einst in den Niederlanden aus menschlicher Gefangenschaft geflüchtet sind.

Bereits 2014 stellte die Fraktion (seinerzeit unter dem Namen "Freie Wähler") den Antrag "Übermäßige Population der Nilgänse im Ostpark einschränken".

Im Jahr 2015 richtete sie eine Anfrage an den Magistrat, die sich intensiv mit der Ausbreitung, Vermehrung sowie der Notwendigkeit einer Erörterung von Bekämpfungsmaßnahmen hinwies.

Die BFF-Ortsbeirätin Ellen Wild stellte 2017 im Ortsbezirk 16 den Antrag "Nilgänse und andere Wasservögel aus dem Riedbad entfernen und dafür sorgen, dass die Tiere sich nicht wieder ansiedeln".

Und im gleichen Jahr stellte die BFF-Fraktion im Römer ebenfalls einen Antrag zur Einschränkung der Nilgans-Population in den Grünanlagen und vor allem in den Freibädern.

Begründet wurde diese Forderung damit, dass sich die afrotropische Wildentenart rasant ausbreitet, einheimische Wasservögel aus deren Revieren verdrängt sowie vor allem in Freibädern dazu beitragen kann, gesundheitsgefährdende Bakterien und Viren über ihren Kot zu verbreiten. Salmonellenvergiftungen, aber auch Ruhr und Krätze können so auf den Mensch übertragen werden.

Geschehen ist seitdem indes so gut wie nichts. Der Magistrat lässt die Entwicklung im Großen und Ganzen laufen, so dass sich zwei Zukunftsszenarien anbieten:

1. Da die Nilgans hier weitgehend ohne natürliche Feinde ist, wird sie sich weiter ausbreiten und zu einer Plage werden. Öffentliche Grünanlagen werden durch den Kot unhygienischer werden. Freibäder werden umfangreiche Schutzmaßnahmen gegen die Beanspruchung ihrer Wasser- und Grünflächen durch die Tiere ergreifen müssen.

2. Es kommt irgendwann zu Gegenmaßnahmen die entsprechend drastisch und brutal ausfallen, weil zu lange damit gezögert worden ist.

Ein Beispiel für diese drastischen Maßnahmen sind die Niederlande. In den Niederlanden wurde in letzter Zeit damit begonnen, hunderttausende der Tiere mit Kohlendioxid zu vergasen. Bereits 2014 wurden legal 250.000 Tiere legal erlegt. Diese Zahl soll nach staatlichem Wunsch noch erhöht werden. 400.000 zu tötende Tiere sind die Zielmarke, um die Population auf ein verträglicheres Maß zurückzudrängen. Dazu werden flugunfähige Jungvögel sowie Altvögel in der Mauser regional zusammengetrieben und vergast. Als Begründung werden die immensen landwirtschaftlichen Schäden durch die eingewanderten Tiere angeführt. Diese werden mittlerweile in den Niederlanden auf über 25 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Die Zahl der Tiere hatte sich von 1985 bis 2011 um 2000 Prozent erhöht.

In Deutschland ist man noch nicht so weit. Hier werden sanfte Maßnahmen diskutiert, beispielsweise die Vertreibung durch Hunde oder eine für Nilgänse durch enge Bepflanzung unattraktivere Neugestaltung von Uferflächen. Andernorts werden Eier von Jägern aus den Nestern entwendet. Zudem werden Möglichkeiten einer Verringerung von Nahrungsquellen debattiert.

Auch in Frankfurt existiert mittlerweile immerhin eine öffentliche Diskussion, wie auf die Folgen der Zuwanderung dieser Tiere zu reagieren ist, welche Maßnahmen getätigt oder unterlassen werden sollen. Diejenigen, die das Argument des Naturschutzes heranziehen, teils sogar noch kranke Nilgänse aufpäppeln, lebten allerdings bislang in einer schizophrenen gesellschaftlichen Situation.

Hinter der Diskussion um praktische Maßnahmen existiert nämlich auch noch eine Metaebene. Das heißt, das Thema wird von einigen Leuten auch im Zusammenhang mit einem anderen Thema gesehen, das derzeit heiß diskutiert wird: Der Einwanderungsfrage.

Gerade linke, den "Grünen" nahe stehende Umweltschützer befanden sich ja in den letzten Jahrzehnten in einem Dilemma. Einerseits befürworteten sie Einwanderung, wenn es sich dabei um Menschen aus fremden Ländern handelte. Andererseits lehnten sie Einwanderung von fremden Pflanzen und Tieren aus ökologischen Gründen ab, wenn Gefahr bestand, dass hierdurch die heimische Fauna und Flora aus dem Gleichgewicht gebracht würde. "Gelöst" wurde dieser Widerspruch bislang durch die Argumentation, dass die menschliche Gesellschaft und die Natur nicht miteinander gleichgesetzt werden könnten. Die menschliche Gesellschaft mit Maßstäben der Natur zu betrachten, wurde als "Biologismus" abgelehnt.

Nun scheint sich eine Veränderung anzubahnen. Längst werden ökologische Ideen in diesem Milieu von anderen politischen Zielen dominiert und verdrängt. Nur noch das Etikett ist "grün". Das sieht man bereits darin, dass "Grüne" längst bereit sind, wertvolle Grün- und Ackerflächen für Neubauprojekte zu opfern, weil das in deren Augen der zu zahlende Preis für die erwünschte Einwanderung ist. Und das damit einhergehenden Wachstum ist man nicht bereit, auch nur ansatzweise in Frage zu stellen.

In Zukunft könnte dieses auf Einwanderung und "Vielfalt" basierende Gesellschaftsmodell also auch auf die Natur übertragen werden. Mittlerweile finden sich durchaus vereinzelte Stimmen, die auch die Zuwanderung invasiver Arten von Pflanzen und Tieren als wenig problematisch ansehen, diese rechtfertigen oder sogar gutheißen. Ähnlich wie den europäischen Ländern die Schuld an den Flüchtlingsströmen aus Afrika und Asien gegeben wird, wird den Menschen nun auch die Schuld an der Einwanderung von Nil- und Kanadagänsen gegeben. In einem FAZ-Artikel von 2015 erklärte etwa der in Fechenheim ansässige Ornithologe der Staatlichen Vogelschutzwarte, Martin Hormann: "Nein, die Nilgans ist nicht böse (…) Ohne unser Zutun wären sie nicht hier."

Die Zuwanderer würden sich, laut Hormann, nicht aggressiv verhalten, vielmehr seien sie oft Opfer der einheimischen Graugänse. Zwar würden die Nilgänse zuweilen Stockenten und Blesshühner vertreiben. Aber dies wurde von dem Ornithologen umgehend relativiert: "Die Blesshühner selbst sind aber auch ganz schön streitbar."

Die Argumentation klingt ganz ähnlich jener, dass Einwanderer nicht tendenziell aggressiver oder krimineller als Einheimische seien. Zwei Leserbriefschreiber haben den Grundgedanken der Äußerungen umgehend verstanden und folgende Online-Kommentare abgegeben:

"Sehr schöner Artikel, man ersetze das Wort `Nilgans´ durch das böse Wort mit `A ...´ und es ergibt sich ein nochmals sehr lehrreicher Text, den könnte man dann glatt als Postillon-Artikel verkaufen. Ornithologisch sehr interessant und aufschlussreich. Bitte das Thema unbedingt weiterverfolgen und nächstes Jahr über Fortschritte berichten!", schrieb ein Kommentator.

"Die Identität von Revierverhalten und Ausländerfeindlichkeit bedeutet entweder, dass die moralische Entwicklung der Ausländerfeinde auf dem Niveau von Enten ist, oder, dass Ausländerfeinde einfach Tiere sind, die sich im Sinne von Granville schlecht verkleidet haben. Oder ich habe da etwas nicht verstanden. Wie auch immer. Enten haben mehr Boden unter den Füssen als die Mehrzahl der öffentlichen Debatten. Das macht ratlos angesichts der wirklich drängenden Probleme", erklärte ein anderer Kommentator.

Auch Martina Chane von der Frankfurter Vogelschutz-Vereinigung "Projekt Oase" sieht die Aggressivität primär bei den Einheimischen. Die Aggression gehe nämlich nicht von Nilgänsen, sondern von Menschen aus, die die Tiere beim Fahrradfahren anfahren, mit ihren Booten überfahren oder Angelhaken auswerfen. Tiere würden zu Tode gehetzt oder erschossen. Der Einwanderer erscheint so als Opfer, während der Einheimische, der weiter uneingeschränkten Anspruch auf sein Revier, seinen Lebensraum erhebt, zum Täter wird.

2017 äußerte Martin Hormann erneut gegenüber der FAZ: "Ich sähe die Tiere auch lieber in Afrika". Aber nun seien sie da, und man müsse sich arrangieren. Die Möglichkeit einer Ausrottung hätte in den 80er Jahren noch bestanden, dafür sei es nun aber zu spät.

Diese Argumentation mag richtig sein, sofern man eine Reduzierung der Gänse auf den Stand "0" im Auge haben sollte. So aber erinnert sie an die Merkelsche Erklärung, dass Grenzen nun einmal nicht zu schützen seien, Einwanderer nun einmal da seien und es nun eben um das geschickte Management der Gesellschaft aus jenen, "die schon immer oder länger hier leben" und den Neubürgern ginge.

Ein Leserbriefschreiber antwortete darauf:

"Wollte man diese Tiere wirklich loswerden, ginge das selbstverständlich, sie verstecken sich ja nicht, lieben offene Rasenflächen. Abschießen, vergiften, Gelege zerstören. Macht man das konsequent, ist die Population in wenigen Jahren dramatisch niedriger und die verbleibenden Gänse werden menschenscheu. Geht nicht, klingt für mich nach `wir wollen nicht`."

Ein anderer hatte bereits die Proteste gegen mögliche Abschüsse im Blick, die sich für die Jäger so zwangsläufig ergeben, wie für die Polizisten bei möglichen Abschiebungen menschlicher Einwanderer: "Bejagung verhindert. Jetzt würde immer noch fleißiger Abschuss mittels KK und Schalldämpfer die Situation etwas entschärfen. Leider ist dies nur schwer denkbar, nur wenige Jäger möchten sich für ihre Hilfe auch noch den unqualifizierten Beschimpfungen der Passanten aussetzen…"

Die Proteste gegen eine Reduzierung der Population sind das eine. Es gibt aber sogar aktive Helfer für die "Geflüchteten", die ihnen eine Art Kirchen- oder Pflegeasyl gewähren. So beispielsweise das Projekt "Natur Ship" auf der "MS Heimliche Liebe" in Niederrad, das nun auch eine verletzte Nilgans aufgepäppelt hat.

Noch sehen einige Verantwortliche in den Institutionen solches Engagement kritisch. Dagmar Stiefel, die Leiterin der Staatlichen Vogelschutzwarte, äußerte gegenüber der Presse jedenfalls ihr Unverständnis für solche Aktionen. Den "sehr engagierten Menschen" möchte sie nicht zu nahe treten. Aber es sei oft "ein ganz bestimmter Typus", der einzelne Tiere in den Mittelpunkt seines Tuns stelle und dabei Tier- und Artenschutz vermenge.

Wie lange aber wird solche Skepsis noch politisch korrekt sein?

Natürlich kann man die Diskussion der Einwanderung invasiver Tier- und Pflanzenarten nur bedingt mit der um menschliche Migration vergleichen. Sind die farbenfrohen Nilgänse im Gegensatz zu behaupteten "Buntheit" der menschlichen Einwanderer wirklich mit beeindruckender Farbenpracht gesegnet, so droht menschlichen Einwanderern wiederum zum Glück allenfalls die Abschiebung, während die Nilgänse punktuell wohl auch mit Abschüssen werden rechnen müssen.

Die hier bemühte Analogie ist somit nicht ganz ernst gemeint. Sie ist aber auch nicht nur völlig aus der Luft gegriffen. Die Grundmuster der Argumente ähneln sich, und FAZ-Leserbriefschreiber haben das bereits bemerkt. Es ist also zu befürchten, dass die Diskussion um den Umgang mit Nil- und Kanadagänsen in Zukunft nicht mehr ausschließlich rational, sondern zunehmend auch irrational und nach moralischen Gesichtspunkten geführt wird, indem sie sich zunehmend an den Grundmustern der derzeitigen Einwanderungsdebatte über "Flüchtlinge" orientiert.


Marlis Lichtjahr

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