Nachklapp zu Boateng und Gauland
Eine belanglose Äußerung zum Fußballer-Rührstück aufgebauscht
In China ist mal wieder der berühmte Sack Reis umgefallen. Auf seiner Jutehülle war diesmal der Name „Boateng“ aufgedruckt. Eine Frankfurter Zeitung gab die Initialzündung. Und diese führte vor allem die Boulevardmedien und die Politikerkaste zu neuen Höheflügen der Skandal-Inszenierung.
Der Anlass für die aktuelle Kampagne ist so nichtig wie ein zerplatztes Frühstücksei. AfD-Vize Alexander Gauland hätte angeblich im inoffiziellen Teil eines Interviews bei der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung eine abfällige Bemerkung über den Fußballer Jérôme Boateng gemacht. Manche Deutsche hätten Boateng nicht gern zum Nachbarn. Gauland bezweifelt die offizielle Darstellung. Ihm sei es nur darum gegangen, zu erläutern, dass viele (Gut-)Menschen selbst nicht unter Schwarzen wohnen wollten. Der Beweis der getätigten Äußerung zu Boateng wurde von den Journalisten zudem bislang nicht vorgelegt.
Diese lächerliche Geschichte um einen Nebensatz ist eigentlich so bedeutungslos für die Probleme, vor denen Deutschland steht, dass sie die Druckerschwärze und Lebenszeit der tippenden Redakteure kaum rechtfertigen kann. Auch Jérôme Boateng hätte vermutlich nur mit den Achseln gezuckt, wäre ihm die Sache zufällig zu Ohren gekommen. Er dürfte durch gegnerische Fans weit härtere Anwürfe gewohnt sein. Das ganze unterscheidet sich inhaltlich kaum von den üblichen aufgebauschten Promi-Zickereien, die zum Geschäft der Boulevard-Presse gehören, a la „Klaas Heufer-Umlauf stichelt gegen Hape Kerkeling“ oder „Guido Maria Kretschmer lästert über Herzogin Kate“.
Doch die Kampagne Gauland vs. Boateng steht eben gerade bei den Stimmungen schürenden Boulevard-Portalen im Zusammenhang mit dem steten Versuch, das Anwachsen kritischer politischer Strömungen, vor allem der AfD, mit allen publizistischen Möglichkeiten einzudämmen.
Sicher wäre es für viele auf AfD-Negativschlagzeilen lauernde Journalisten viel schöner gewesen, man hätte Björn Höcke beim Bestellen kinderpornographischer Bilder erwischen können. Oder Frauke Petry auf frischer Tat bei der Einnahme von Crystal Meth. Oder Jörg Meuthen bei der Fälschung seines Doktortitels. Oder Beatrix von Storch bei einer Crashfahrt mit Alkoholfahne. Doch leider mussten kleinere Brötchen gebacken werden.
Die Skandalisierung ist dennoch perfide, da im emotionalisierten Vorfeld der Fußball-EM versucht wird, die AfD als Partei der Spaßbremser darzustellen. Fußball dient gerade in Deutschland als Ersatzbefriedigung zur Bespielung und Beruhigung der Massen. Kampfrituale und Gemeinschaftsbedürfnisse können hier durch Partizipation an ausgewählten Spieler-Mannschaften befriedigt werden. Dazu gehört der Kult um die Sportler.
Schließlich dienen die ganzen Klatsch- und Tratschgeschichten der so genannten „Promis“, die täglich nicht nur in Portalen wie web.de zum Besten gegeben werden, dazu, den Konsumenten mit Ersatzidentitäten zu versorgen. Hier kann der in seinem Leben Unzufriedene mitfiebern, sich aufregen, Zuneigung empfinden, mitleiden. „Wer liebt sich, wer trennt sich?“ ist eine häufige Rubrik über B-Promis bei web.de. Die Fußballspieler haben in dieser Gemengelage die Funktion, zugleich Helden und unhinterfragbare Sympathieträger zu sein, denn schließlich geht es beim Fußball mittlerweile um viel Geld. Da darf wenig dem Zufall überlassen werden.
Die nun inszenierte Frontstellung scheint somit perfekt zur Emotionalisierung von Fußballfans. Man muss sich dazu nur die planmäßig im Stundentakt angeheizte Berichterstattung des Portals web.de anschauen. Wird Jérôme Boateng frisch frisiert abgebildet, mit makelloser Haut, Schwiegersohn-Brille und den Leser direkt anblickend, so hat man für Gauland eine Profilansicht mit gerunzelter Stirn und halb zugekniffenen Augen gewählt.
Der Sympathieträger Boateng, offenbar zu irgendeiner Antwort an die Medien gedrängt, wird betroffen, aber betont gelassen und großmütig dargestellt. Er sei „traurig“, „dass so etwas heute noch vorkommt“, was immer dieses „so etwas“ auch sein soll. Der offenbar gestrige Gauland hingegen „hetzt wie einst die NPD“.
Von seinen Aussagen gehe eine „Gefahr“ aus, weil „rechte Extremisten“ zu „Gewalttaten“ ermuntert werden könnten. Es fehlte eigentlich nur noch, dass web.de gleich einen Gaskammer-Bezug aus Gaulands Nebensatz herausgefiltert hätte. Klar, dass auch ein Hinweis auf die geistige Verwirrtheit von AfD-Politikern, in diesem Fall die dazu beliebte Beatrix von Storch, nicht fehlen darf.
Auf dieser Basis wird das alte Spalter-Spielchen betrieben. Frauke Petry wird nun für ein Distanzierungszitat bemüht, dass man bei nächster Gelegenheit mit umgedrehter Konstellation erneut durchspielen könnte, wie auch bereits in der Vergangenheit geschehen.
So soll der Spaltpilz in diese Partei getragen werden oder zumindest deren Öffentlichkeitsbild als uneinheitlich und zerstritten bestimmen. Zugleich geht es darum, einen Keil zwischen das AfD-Selbstbild, „die `wahren Interessen´ der Deutschen Bevölkerung zu vertreten“ (web.de), und ein Fußball-begeistertes Volk zu treiben, dass nichts, aber auch gar nichts auf seine „Helden“ kommen lässt.
Die AfD wie auch der gesamte kritische Protest von unten soll also dem Wahlvolk mittels Fußball-Euphorie entfremdet werden. Das wird zwar nur bei sehr unreflektierten Leuten funktionieren, aber solche stellen eben auch ein nicht unbeträchtliches Wählerreservoir.
In dieser Kampagne können die Trittbrettfahrer nicht fehlen. Der DFB findet eine Begründung, auf seine nächste „Antirassismus“-Kampagne mit dem Titel „Wir sind Vielfalt“ hinzuweisen. Regierungssprecher Steffen Seibert konnte in Angela Merkels Namen etwas von einem „niederträchtigen und ein traurigen Satz“ faseln. Und Boateng bedankte sich wieder artig bei der Kanzlerin. Ein zu offensichtlich abgekartetes Ping-Pong-Spielchen.
Marlis Lichtjahr