Partei und Bewegung

Aktuelle Überlegungen zu einem bekannten Problem

Partei und Bewegung
Vince Alongi (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de) Quelle: piqs.de


In Deutschland entwickelt sich eine bürgerliche Protestbewegung gegen den Euro-Rettungswahnsinn und seine absehbaren Folgen. Zwar ist das bislang keine Massenbewegung, die jetzt schon zu eindrucksvollen Großkundgebungen und Straßendemonstrationen fähig wäre. Doch im Internet, Publikationen und vielen Diskussionszirkeln wird längst die Saat dafür gelegt. Diese Bewegung ist – wie alle Protestbewegungen zu einem frühen Zeitpunkt - uneinheitlich, oft widersprüchlich und ohne schlagkräftige Organisation. Wichtiger als diese natürlichen Mängel sind ihre Lebendigkeit, ihre Argumentationsfähigkeit, ihre Diskussionsfreude. Alls das steht im krassen Gegensatz zu den erstarrten Strukturen und erschöpften Inhalten der etablierten Parteien.

Diesen Parteien – von CDU über SPD, Grüne, FDP bis zu den Linken – traut in der neuen Protestbewegung kaum jemand zu, die Euro- Krise noch auch die mannigfaltigen anderen großen Probleme Deutschlands lösen zu können. Aber können überhaupt Parteien, auch neue, ganz andere Parteien, diese Probleme lösen – oder werden sie nicht eher ein Bremsklotz, ein Hemmschuh  dabei sein? Werden neue Parteien am Ende nicht die positiven Energien der Protestbewegung in alte Bahnen kanalisieren und versickern lassen? Diesen Fragen müssen sich die nachdenklichen Köpfe der Bewegung ebenso stellen wie die selbstkritischen Köpfe der bürgerlichen (FREIE WÄHLER), libertären (Partei der Vernunft) und rechtsdemokratischen (FREIHEIT, Pro Deutschland, Bürger in Wut etc.) neuen Parteien, die sich in Opposition zu den etablierten Kräften formiert haben.

Historisch neu ist das Problem des Verhältnisses zwischen Bewegung und Partei keineswegs. Noch stets haben erfolgreiche Parteien sich auf große Bewegungen und soziale Milieus gestützt, sind Parteien aus diesen erwachsen. Keine SPD ohne Arbeiterbewegung, keine CDU ohne Bürgertum und politisches Christentum, keine Grünen ohne “1968“, Anti-AKW- und Friedensbewegung. Auch der von einigen Sonderfaktoren geprägte zwischenzeitliche Aufstieg der Linkspartei wäre ohne die Proteste gegen „Hartz IV“ und Schröders „Agenda“ kaum vorstellbar. Und natürlich gäbe es keine Piraten in deutschen Parlamenten ohne die Versuche der etablierten Mächte, das modernste Medium Internet zu domestizieren samt dem populären Widerstand von unzähligen Internet-Nutzern dagegen.

Parteien selbst schaffen in aller Regel keine Bewegungen, sie nutzen und benutzen sie jedoch. Als organisierte Gebilde mit bestimmten Strukturen, festen Finanzquellen und personellen Hierarchien haben Parteien zweifellos Vorteile im Vergleich zu Bewegungen. Diese sind zwar unberechenbarer und mangels einer festen Adresse wesentlich unangreifbarer, aber eben auch diffuser, labiler, weniger zielgerichtet. Hingegen können Parteien nie die Breite und Vielgestalt einer Bewegung haben. Denn geradezu gesetzmäßig verengen, kontrollieren, begrenzen Parteien menschliche Aktivitäten und Dynamik. Bewegungen hingegen leben von deren möglichst großer Entfaltung.

Es ist wichtig, das alles zu wissen und zu bedenken, wenn es aktuell um die Frage geht, ob eine neue Partei nützlich oder schädlich für die bürgerliche Protestbewegung gegen den Euro-Rettungswahnsinn sein kann. Festzuhalten ist jedenfalls, dass diese Bewegung keineswegs schon voll entwickelt ist. Aus sich selbst heraus kann sie, weil auch eindeutig noch zu früh, keine neue Partei mit politischer Belastbarkeit zeugen. Wer aus Überzeugung die verhängnisvolle Euro-Politik der etablierten Parteien und ökonomischen Profiteure bekämpfen will, muss folglich jetzt vorrangig die Protestbewegung stärken. Das kann in vielerlei Weise erfolgen, darin liegt ja gerade die Stärke der Bewegung.

Trotzdem ist es durchaus verständlich, wenn angesichts der heillosen Verstrickung der etablierten Parteien in das Euro-Desaster bei vielen Menschen der Wunsch wach ist oder geweckt wird, demnächst eine Partei wählen zu können, die in dieser Frage klar Stellung gegen verantwortungslose Bürgschaften und absurde Rettungskonstruktionen bezieht. Diese Partei soll aber auch nicht so ohne weiteres als extrem rechts oder extrem links abgestempelt werden können. Diese Wünsche resultieren nicht zuletzt aus einer politisch passiven Konsumentenhaltung und dem Einschüchterungssystem der „Politischen Korrektheit“. Denn viele Menschen in Deutschland sind gegen die jetzige Euro-Politik, doch nur wenige wollen deshalb auch aktiv und gar Angriffen ausgesetzt werden. Bequemer, gefahrloser ist es da schon, lediglich mit dem Stimmzettel Protest zu signalisieren.

Es ist müßig, diese Haltung zu kritisieren oder gar zu verdammen, denn sie ist eine Tatsache. Gleichwohl gibt es keinen Grund für die Aktiven der Protestbewegung gegen die verhängnisvolle Euro-Politik, nun alle Energien auf eine Parteibildung zu konzentrieren. Im Gegenteil: Das erste Gebot in der jetzigen Lage ist die massive Stärkung der bürgerlichen Protestbewegung. Nur wenn diese breit, offen, vielfältig und kreativ-offensiv ist, kann sie mit Aussicht auf Erfolg ihre Ziele erreichen.

Alle politischen Organisationen und Parteien des bürgerlichen Bereichs, die ebenfalls kritisch gegen die Euro-Politik von Regierung und links-grüner „Opposition“ in Berlin eingestellt sind, haben sich - wollen sie glaubwürdig sein und bleiben – in diese Bewegung konstruktiv zu integrieren. Das fällt gerade den in allen politischen Organisationen und Parteien vorhandenen engstirnig-bürokratischen  Charakteren nicht leicht, ja trifft oft auf deren Widerstand. Denn diese Charaktere mögen die Geborgenheit des Apparats, hingegen ist ihnen die Unübersichtlichkeit einer Protestbewegung zuwider. Diese meist sehr  autoritätsfixierten Charaktere - an der Erarbeitung und Diskussion von Inhalten eher desinteressiert -  wollen Kontrollmechanismen, die Bewegungen wesensfremd sind.

Es wäre extrem schädlich, wollte eine Partei, wenngleich mit den besten Absichten, diesen Protest zum jetzigen Zeitpunkt politisch kanalisieren und monopolisieren. Wer die bürgerliche Protestbewegung gegen die offizielle Euro-Politik nur als Rekrutierungsfeld betrachtet und nutzen will, schadet der Sache, der Bewegung, ja am Ende auch seiner eigenen Organisation oder Partei. Selbstverständlich muss es aber den bereits real existierenden Organisationen und Parteien erlaubt sein, sich in der Protestbewegung in konstruktiver Weise zu profilieren. Je überzeugender und uneigennütziger das abläuft, desto größer das Ansehen, desto größer übrigens auch der künftige politische Profit daraus.

Von den derzeit schon bestehenden Organisationen und Parteien im bürgerlich-libertär-rechtsdemokratischen Lager verlangt diese Situation also die Bereitschaft zur Kooperation bei Beibehaltung der eigenen Identität. Schädlich, sogar lächerlich ist die oft zu registrierende ängstliche Abgrenzungsmentalität. Meist ist diese dem Zurückweichen vor dem Druck der linken Kräfte und linksgrünen Massenmedien geschuldet. Zwar muss ein klarer Grenzstrich zu oft provokativ agierenden extremistischen Elementen gezogen werden, in der Protestbewegung ebenso wie in den neuen Parteien. Doch sollte der selbstbewusst und selbstbestimmt geschehen, nie als Demutsgeste vor der sogenannten „Politischen Korrektheit“. Wer vor dieser zurückweicht, bekommt nur zusätzliche Prügel.

Es ist der unschätzbare Vorteil einer Protestbewegung, dass sie allen Beteiligten reiche  Erfahrungen darüber vermittelt, wer mit wem gemeinsam etwas bewegen kann - oder eben auch nicht. Davon können die neuen, oben aufgezählten Parteien, die ja allesamt klein sind und keine Massenbasis haben, besonders profitieren. Voraussetzung dafür ist aber Offenheit und Gesprächsbereitschaft auch gegenüber denen, die in anderen Themenfeldern andere Positionen haben. Es sollte allen an der entstehenden bürgerlichen Protestbewegung beteiligten Parteien bewusst sein, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keineswegs klar ist, wer einmal mit wem sich in einer bundesweiten Parteiorganisation zusammen finden wird. Hierbei ist ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Grünen sehr hilfreich.

Niemand in der bürgerlichen Protestbewegung, niemand in den kleinen Parteien sollte die Möglichkeit des schnellen Zusammenbruchs der jetzt noch so allmächtig erscheinenden etablierten Parteien für den Fall einer chaotischen Entwicklung der Euro-Krise ausschließen. Dann aber stünde im bevölkerungs- und wirtschaftsstärksten Staat Europas sofort die Machtfrage an. Die politischen Brandstifter werden sich  selbstverständlich umgehend als Feuerwehrleute anbieten, um in neuen Uniformen weiter oben bleiben zu können.

Aber nicht nur die alten Mächtigen würden sich als „Retter“ präsentieren – auch die linken kapitalismuskritischen Kräfte würden in dieser Situation einen neuen Anlauf zur radikalen Systemveränderung nehmen. Unterschätzt sollten die Erfolgsaussichten einer solch gearteten Machteroberung in einem Land mit immer mehr direkt oder indirekt vom Staat alimentierten Menschen keinesfalls.

Wer all das verhindern will, muss in der aktuell wachsenden bürgerlichen Protestbewegung mit Offenheit und wachem Geist die anerkannte Autorität zum Zusammenführen und Führen erwerben. Das ist allerdings viel anspruchsvoller als die Erarbeitung oder Eroberung einer leitenden Funktion in einer kleinen Partei. Aber weniger anspruchsvoll zu sein verbietet die unverantwortliche Situation, in die sich Deutschland unter der faktisch bankrotten jetzigen politischen Elite von Tag zum Tag mehr verstrickt.   


Wolfgang Hübner, 22. Juli 2012

Leserkommentare (1)

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Gut und abwägend, der Beitrag. Aber: Wie ich beginnen sicher mehr Menschen, die bisher die etablierten Parteien gewählt haben und von ihnen maßlos enttäuscht wurden, mit der Suche nach einer verantwortlichen Wahl 2013. Verantwortlich heißt aber nicht - nur gegen! Die Frage ist: Wofür? und mit welcher Perspektive weiter? Die Frage lautet auch: Welche Schritte lassen geschlossene Verträge, wenn man sich nicht mit Schaden fürs eigene Land brechen will, überhaupt zu? Nur das Gefühl, den Kopf in der Schlinge zu haben, ist wichtig, aber nicht ausreichend, wie man ihn verantwortlich da wieder rausbekommt. Das sind Fragen, zu denen verantwortliche Wechsler durchaus Antworten erwarten. Nur dagegen, wird vielen den Bleistift nicht führen, sondern nur bewirken, dass sie ihn erst gar nicht in die Hand nehmen. Wer den Bleistift neu führt, will ein "da gehts jetzt lang" markieren.